Berlin – Die Coronapandemie hat an den medizinischen Fakultäten den Alltag massiv verändert. Seit einem Jahr findet das Medizinstudium fast ausschließlich digital statt. Viele innovative virtuelle Lehrformate sind inzwischen entstanden, die auch im bald beginnenden Sommersemester 2021 Anwendung finden. Dauerhaft lässt sich allerdings die Ärzteausbildung nicht digital gewährleisten – da sind sich Studierende und Lehrende einig.
Darüber, wie sich das Medizinstudium verändert hat und was davon auch nach der Pandemie bewahrt werden sollte, sprach das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) mit Yasmin Youssef, Medizinstudentin in Leipzig.
Yasmin Youssef /privat
5 Fragen an Yasmin Youssef, Medizinstudentin an der Universität Leipzig
DÄ: Frau Youssef, wie hat sich Ihr Alltag während der Pandemie geändert?
Yasmin Youssef: Die Coronapandemie hat sich stark auf meinen Alltag ausgewirkt. Dadurch, dass die Lehre seit dem Sommersemester 2020 fast ausschließlich digital geführt wurde, hatte ich keinen klassischen „Studentenalltag“ mehr.
Während man vor der Pandemie den Tag oft nach den Vorlesungen und Praktika getaktet hat, hatte man nun die Möglichkeit, seine Zeit flexibel einzuteilen. Ich habe beispielsweise in Vollzeit im Bundeswehrkrankenhaus Berlin gearbeitet und dann abends studiert.
Durch diese praktische Tätigkeit war das Jahr daher für mich sehr wertvoll und für meinen späteren Beruf als Ärztin sehr lehrreich.
DÄ: Wird die digitale Lehre nach Ihrer Ansicht nach der Pandemie noch eine Rolle spielen?
Youssef: Ja, ich denke, dass die digitale Lehre nicht nur eine einfache Übergangslösung ist, sondern auch in der Zeit „nach Corona“ immer mehr Einzug in den Fakultätsalltag finden wird.
DÄ: Wie wird sich das auf eine künftige Lehre an der Uni auswirken?
Youssef: Meiner Meinung nach ist die digitale Lehre ein großer Zugewinn für die universitäre Lehre. Der pandemiebedingte Lockdown an den deutschen Hochschulen und der dadurch induzierte schnelle Wechsel zur Onlinelehre bietet viele Anreize für ein Umdenken und Umstrukturieren der Lehre. In der digitalen Lehre hat jeder Student die Möglichkeit, personalisiert und flexibel zu lernen.
Ein rein digitales Medizinstudium kann ich mir jedoch nicht vorstellen – besonders die praktischen und kommunikativen Fähigkeiten kann man sich nachhaltiger durch das Üben am Patientenbett und oder in Kleingruppen aneignen. Ich denke, dass in Zukunft eine ausgeglichene Mischung aus Präsenzlehre und digitaler Lehre bestehen wird.
Um die digitale Lehre in Zukunft effektiv in den Fakultätsalltag zu integrieren, wird ein aktives Auseinandersetzen mit dem Thema auf studentischer, lehrender und politischer Ebene unumgänglich sein. Die aktuellen Erfahrungen in der digitalen Lehre müssen interdisziplinär diskutiert und ausgewertet werden.
DÄ: Was hat Sie als Studierende während des Lockdowns besonders gestresst?
Youssef: Dies war die oft mangelhafte Kommunikation zwischen Lehrenden, Referat Lehre und Studenten. Oft kamen Informationen sehr spontan und kurzfristig. Auch Änderungen wurden nicht immer klar kommuniziert und Unterschiede zwischen verschiedenen Fakultäten waren nicht immer ganz ersichtlich.
Das ist natürlich sehr frustrierend und belastend, da man ja auch als Studierender planen und organisieren möchte und muss. Natürlich kann man in der Pandemiesituation nicht erwarten, dass die Lehrenden immer sichere und zeitnahe Aussagen treffen können.
Meiner Meinung nach wäre es aber sehr hilfreich gewesen, wenn man den Studierenden transparent die verschiedenen Pläne/ Möglichkeiten, je nach Pandemielage und Pandemieänderungen, dargelegt hätte. So hätte man eine grobe Vorstellung davon bekommen können, wie sich das Semester in verschiedenen Situationen gestalten könnte.
Es ist ebenfalls wichtig, den Studierenden einen gewissen Überblick über die Lerninhalte des gesamten Semesters zu geben. Dieser sollte klar die Fähigkeiten und Wissensinhalte benennen, die während des Onlinesemesters zu erarbeiten sind. Da man in einer Krisensituation nicht alles vorhersagen und planen kann, ist es umso wichtiger, den Studierenden einen gewissen Halt und eine Struktur zu bieten.
DÄ: Welche Lehren kann man aus Ihrer Sicht aus Pandemie für die künftige Ausbildung von Medizinstudierenden ziehen?
Youssef: Neben den oben genannten positiven Aspekten der digitalen Lehre sehe ich auch erhebliche Mängel – besonders für das Medizinstudium. Die letzten beiden digitalen Semester haben klar unterstrichen, wie wichtig die Praxis im Medizinstudium ist. Die Kunst ein guter Arzt zu sein, fußt nicht nur auf Wissen, sondern in erster Linie auf praktischen Fähigkeiten und Praxiserfahrung.
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Klinisch spielen bei einem Patienten nicht nur visuelle Hinweise, sondern auch olfaktorische, akustische und besonders auch haptische Hinweise eine Rolle. Auch das „ärztliche Gespür“ entwickelt man durch praktische Erfahrung am Patientenbett. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man sich in einem Podcast anschaut oder ob man selbst an einem Kommilitonen, einem Schauspielpatienten oder gar einem echten Patienten übt.
Lernen sollte mehrdimensional gestaltet werden, um ein intensiveres und nachhaltigeres Lernen zu ermöglichen. Hierbei sollten Lehrformate angewendet werden, die theoretisches Wissen, praktische Fähigkeiten und intuitives Gespür im Aneignungsprozess verknüpfen und schulen.
Es muss daher ernsthaft hinterfragt werden, ob Studierende mit einem rein digitalen Format überhaupt auf den Arztberuf mit all seinen Aufgaben und Verantwortungen vorbereitet werden können.
Andererseits kann die aktuelle Erfahrung mit der digitalen Lehre auch zur Entwicklung der Telemedizin beitragen, indem Techniken eingeübt und Formate entwickelt werden die digitale Kompetenz schulen. Zur digitalen Kompetenz zählt nicht nur die Handhabung verschiedener Software und Hardware, sondern auch die Fähigkeit, digital Informationen effektiv aufzunehmen und zu vermitteln. © ER/aerzteblatt.de