Altbau in Kreuzberg aufgemöbelt: Berliner Heimwerker-Zwillinge werden zu Internetstars (2024)

Bildstrecke

Natürlich speist sich der Erfolg nicht allein daraus. Seit anderthalb Jahren wird der Account namens „julianundmarian“ bespielt, in einem ihrer ersten Videos heißt es: „Wir sind Julian und Marian, wir sind Zwillinge und wir leben in Berlin. Wir renovieren zurzeit unsere 120 Quadratmeter große Altbauwohnung und unser Motto ist: Geht nicht, gibt’s nicht!“

Seither ist in der Kreuzberger Mietwohnung viel passiert: Dielen wurden abgeschliffen, Wände verputzt, Türen lackiert. Die Follower können live dabei sein. Und sie fiebern nicht nur mit: „Meeeega, was ihr macht“, „Euer Account hat Suchtpotenzial!“ Sie wollen auch nachmachen, was ihnen von den eineiigen Zwillingen vorgebohrt und vorgedübelt wird: „Ich bin handwerklich wirklich nicht begabt, aber bei eurer süßen und lieben Art bekomme ich doch fast Lust, es irgendwann mal auszuprobieren.“

Alte Villen, neue Häuser: Die Follower fiebern mit

Es ist wohl der Mix aus Wohn-Content, Berlin-Leben, der Lust an Do-it-yourself und der Persönlichkeit der Zwillinge, der den Account so erfolgreich macht. Generell erleben Accounts, in denen es ums Selbermachen geht – ob nun im Garten, beim Kochen oder eben beim Heimwerken – einen Boom.

Mehr als 50.000 Menschen verfolgen das Berliner Hausbau-Projekt der Influencerin Jessie Weiß auf ihrem Kanal „Maison Journelles“. Erst wenige Tage alt ist der Account „Villa Niveus“, auf dem ein junges Paar eine alte Villa aus dem Jahr 1916 saniert – schon jetzt wollen mehr als 150.000 Follower zusehen, wie sich 320 Quadratmeter Wohnfläche in ein schmuckes Paradies verwandeln. Man kann sich gut vorstellen, dass bei so viel Publikum die Werbepartner reihenweise anklingeln.

So erging es auch Julian und Marian. Die beiden können inzwischen von ihren Social-Media-Aktivitäten leben. Ihre eigentlichen Berufe haben sie erstmal an den Nagel gehängt, um sich voll ihrer Influencer-Karriere zu widmen.

Die begann eigentlich recht unspektakulär – und mit einem Problem, das viele Berliner umtreibt. Julian und Marian Nketiah suchten eine Wohnung in der Hauptstadt. Beide hatten vorher in WGs oder allein gelebt; dass sie zusammenziehen, war eigentlich nicht geplant. Doch sie stellten schnell fest, dass es zu zweit einfacher war, etwas zu finden. Nach anderthalb Jahren Suche kamen sie über Immoscout an eine Wohnung in jenem Kreuzberger Altbau, in dem sie heute leben.

Einige Monate mietfrei und freie Hand beim Renovieren

Dann, 2021 und somit mitten in der Pandemie, hörten sie, dass im Haus die Wohnung unterm Dach frei wird. Sie sprachen den Vermieter an, der dort gerade die nötigsten Sanierungsarbeiten vornehmen ließ: elektrische Leitungen erneuern, Bad und Heizung einbauen. Mehr werde nicht gemacht, ließ man die Brüder wissen. Sollten sie sich das handwerklich zutrauen, könnten sie die Wohnung in Eigenregie renovieren und dafür einige Monate mietfrei wohnen. „Wir hatten freie Hand und durften alles machen“, erzählt Marian. „Da haben wir nicht lange gezögert und zugesagt.“

Die Bau- und Basteleuphorie der Brüder, sie wurde schon in der Kindheit im Duisburger Elternhaus geweckt. Ihr Vater, der aus Ghana stammt und mit einer Deutschen verheiratet ist, ließ die Jungen ihre Zimmer selbst gestalten. „Und er hat uns alles gezeigt“, sagt Julian. „Unser Vater ist ein richtiger Heimwerker, er hat sich um alles im Haus gekümmert. Der Spaß daran hat sich wohl auf uns übertragen.“ Heute sind die Eltern stolze Follower ihrer Söhne, „sie haben sich extra für uns Instagram runtergeladen und folgen dort auch nur uns. Sie schauen sich alles an, was wir machen.“

Einen Boden hatten die Brüder zuvor noch nie gegossen. Doch sie fuchsen sich angstfrei in alle Aufgaben ein. „Wir haben stundenlang online recherchiert, uns bei YouTube Videos angeschaut, bei Pinterest Inspiration geholt. Und dann haben wir einfach losgelegt“, sagt Julian, der vor seiner Influencer-Karriere als Bauingenieur tätig war und unter anderem bei einem der Hochhausprojekte am Alexanderplatz mitgearbeitet hat.

Sein Bruder Marian hat Architektur studiert und war unter anderem am Maxim-Gorki-Theater und an der Staatsoper tätig. „Irgendwann brauchten wir beide einen Tapetenwechsel“, erzählt Marian, während wir auf dem hellen dänischen Designersofa im Wohnzimmer Platz nehmen. „Julian hing in seinem 9-to-5-Job fest, ich war als Bühnenbildner ständig unterwegs.“ Da kam die Kreuzberger Bruchbude, wie die Brüder sie selbst nennen, wie gerufen. Zunächst renovierten sie nach Feierabend und an den Wochenenden, bis Julian irgendwann auf die Idee kam, die Arbeiten zu dokumentieren.

„Zwei unserer ersten Videos gingen dann viral, innerhalb eines Monats hatten wir plötzlich 100.000 Follower“, erinnert er sich. Viele Leute glaubten damals, sie hätten nachgeholfen, „aber das haben wir nicht. Unsere Geschichte hat die Leute einfach interessiert.“ Nach Corona seien die Leute noch viel zu Hause gewesen, motiviert, sich ihr Heim schön zu gestalten. „Da haben wir einen Nerv getroffen.“

In den Kommentarspalten lässt sich ablesen, wie viele Menschen von sich selbst annehmen, sie hätten zwei linke Hände. „Die können wir motivieren, sich was zu trauen. Mal eine Bohrmaschine in die Hand zu nehmen, sich an die Stichsäge zu wagen“, sagt Julian. Wenn die Follower ihnen dann Bilder schicken, wie sie den Couchtisch aus dem Wohnzimmer der Zwillinge nachgebaut haben, „dann ist es für uns das schönste Feedback, das wir uns vorstellen können“.

Wie schläfst du eigentlich auf deiner Matratze?

Nicht immer allerdings treffen Julian und Marian den Geschmack ihrer Fans. „Als wir die Ochsenblut-Dielen im Flur abgeschliffen haben, schrieben uns viele, wir hätten den Boden verhunzt“, erinnert sich Julian. Auch mit dem Überdecken der Küchendielen waren nicht alle einverstanden. „Aber wir ärgern uns nicht darüber“, sagt Marian. „Im Gegenteil, es ist doch nett, dass sich unsere Follower verantwortlich fühlen für die Wohnung und Lust haben, sie mitzugestalten.“

Längst werden die Zwillinge auf der Straße erkannt, teils führt ihre Internetprominenz zu absurden Situationen. Julian erzählt, wie er auf einer Party von einem Fremden gefragt wurde, wie er denn auf seiner Matratze schlafe. Er hatte zum Bettenbau mal ein TikTok-Reel gedreht. Das sei dann schon ein wenig komisch gewesen, so ganz ohne Einleitung auf sein Schlafgemach angesprochen zu werden.

Dabei hatte der Anspruch, alles selbst zu renovieren, Möbel vom Sperrmüll upzucyceln und die Kunst an den Wänden aus Packpapier und Goldlack zu basteln, zunächst einmal einen simplen Hintergrund. Das Geld für teure Inneneinrichtung war nicht da. „Wir konnten uns gar keine Handwerker leisten – und obendrein wollten wir in eine gemietete Wohnung auch nicht zu viel investieren. Das Selbermachen spart wahnsinnig viel Geld. Natürlich dauert es länger, aber wenn dann so eine Wand endlich schön glattgespachtelt ist, ist das ein fantastisches Gefühl.“ Julian weist hinter dem Sofa auf seine selbst gezimmerte Heizungsverkleidung – auch so ein Herzensprojekt.

Dass sie ihr Hobby zum Beruf machen und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können, hätten sie vor ein paar Jahren selbst nicht gedacht. Inzwischen verbringen sie ihre Tage nicht nur mit Werkeln, sondern auch mit dem Schneiden von Videos oder der Kommunikation mit Followern und Werbepartnern. Ein Werkzeughersteller gehört dazu, Firmen wie Samsung und Ebay, für die die Zwillinge eigenen Content produzieren.

„Wir wollen die Welle jetzt reiten“, sagen die zwei. „Wer weiß, ob es in zwei Jahren noch so läuft.“ Projekte in der Wohnung gibt es noch genug; aber die Brüder haben bereits weitere Dinge im Visier.

„Wir fühlen uns hier wohl und lieben die Wohnung total“, sagt Marian. „Aber alt werden wir hier sicher nicht.“ Zwar streiten sich die beiden nach eigenem Bekunden nie, aber irgendwann soll es wieder getrennte Wohnungen geben, vielleicht mit dem jeweiligen Partner. Oder es ergibt sich ein neues DIY-Projekt, ein Haus mit Garten vielleicht.

Eventuell klopft ja auch bald ein Streamingdienst oder ein TV-Sender an, einige Produktionsfirmen haben jedenfalls schon den Kontakt zu den Zwillingen gesucht. „Wie cool wäre das denn bitte, eine eigene Fernsehsendung“, lacht Julian. Jetzt aber warten erstmal wieder Akkuschrauber und Bohrmaschine. Wie heißt es so schön in einem bekannten Baumarkt-Slogan: Es gibt immer was zu tun.